Schneller als die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h – damit müssen Sie rechnen.
Nach den ausgiebigen politischen Diskussionen in den letzten Monaten ist die Einführung des allgemeinen Tempolimits auf deutschen Autobahnen erst einmal wieder vom Tisch.
Doch schon seit 1978 soll ein anderes Instrument die Verkehrsteilnehmer dazu animieren nicht allzu viel Gas zu geben: Die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h.
Die auf Autobahnen und ähnlich ausgebauten Straßen geltende Richtgeschwindigkeit stellt, wie der Name schon sagt, keine Verpflichtung dar, sondern gilt nur als Empfehlung diese Geschwindigkeit nicht zu überschreiten.
Wer die Richtgeschwindigkeit überschreitet muss also nicht mit einer Bestrafung, sei es mit einem Bußgeld oder einer sonstigen Verwarnung durch die Polizei rechnen.
Nichtsdestotrotz ist Vorsicht geboten! Denn ein Überschreiten der Richtgeschwindigkeit kann durchaus unangenehme Konsequenzen haben – gerade dann, wenn es zu einem Verkehrsunfall kommen sollte.
Beispiel einer Überschreitung der Richtgeschwindigkeit:
Sie fahren auf einem unbegrenzten Streckenabschnitt der Autobahn mit 180 km/h auf der linken Fahrspur. Kurz bevor Sie einen auf der Mittelspur mit etwa 110 km/h fahrenden Pkw überholen wollen, schert dieser plötzlich nach links aus. Sie fahren auf dieses Fahrzeug auf.
Den Unfall war nicht zu vermeiden, die alleinige Schuld trifft den unvorsichtigen Spurwechsler werden Sie sagen!
Doch hier kommt jetzt die Richtgeschwindigkeit ins Spiel. Denn wenn Sie mit 130 km/h unterwegs gewesen wären, so würde Ihnen wahrscheinlich jedes Gericht in Deutschland Recht geben. Hier könnte die Sache aber anders ausgehen!
Denn es gilt zu beachten:
Damit der Unfallgegner für den entstandenen Schaden allein aufkommt, kommt es maßgeblich darauf an, dass der Unfall für den Geschädigten „unabwendbar“ im Sinne des Straßenverkehrsgesetzes war. Sonst hat sich auch der Geschädigte grundsätzlich die sogenannte „Betriebsgefahr“ des eigenen Fahrzeugs anrechnen zu lassen.
Unabwendbar soll ein Verkehrsunfall allerdings nur dann sein, wenn sich derjenige, welcher sich darauf beruft, wie ein „Idealfahrer“ verhalten hat. Nach der herrschenden Rechtsprechung hätte sich ein Idealfahrer allerdings unbedingt an die Richtgeschwindigkeit gehalten und wäre nicht mit 180 km/h über die Autobahn „gerast. Die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit soll daher gegen Unabwendbarkeit eines dadurch mitverursachten Unfalls sprechen (BGH, Urt. v. 17.03.1992 – VI ZR 62/91)
Im Ergebnis bedeutet das für unseren Fall, dass Sie den Schaden von der gegnerischen KfZ-Haftpflichtversicherung möglicherweise nicht vollständig ersetzt bekommen und sich selbst eine gewisse Haftungsquote entgegenhalten lassen müssten.
Wie hoch diese ausfällt, lässt sich nicht pauschal sagen. Hier kommt es maßgeblich auf die genaue Unfallsituation und die gegenseitigen Verursachungsbeiträge und damit auch gerade auf die gefahrene Geschwindigkeit an.
In der Rechtsprechung wurden Mithaftungsquoten von 20%-30% zu Lasten des die Richtgeschwindigkeit deutlich überschreitenden Fahrers angenommen.
(OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.11.2009 – 3 U 122/09; OLG Nürnberg, 13 U 712/10 – OLG Hamm, Urteil vom 25.11.2010 – 6 U 71/10; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.11.2017 – 1 U 44/17 (30 % bei 200 km/h (!) )
Doch Achtung!
Dies heißt nicht, dass denjenigen, der die Richtgeschwindigkeit nicht beachtet immer ein „Mitverschulden“ treffen muss!
Es kommt weiterhin auf den Einzelfall an.
Gerade bei einem nur maßvollen Überschreiten der Richtgeschwindigkeit vermag der Nachweis der Unabwendbarkeit immer noch zu führen sein. So hat es das OLG Hamm im Urteil vom 06.02.2018 (7 U 39/17) entschieden.
Und auch bei ganz groben Verkehrsverstößen des Gegners kann es bei dessen alleiniger Haftung bleiben (LG Kiel, Urteil vom 19.08.2015 – 13 O 130/15). Hier wird es auf die Darlegung der erheblichen Tatsachen im Rahmen einer kompetenten anwaltlichen Vertretung ankommen hierbei sind wir Ihnen natürlich gerne behilflich.
Auch im Kaskoschadenfall erlangt die Einhaltung der Richtgeschwindigkeit Bedeutung, denn die Kaskoversicherung darf grundsätzlich bei grob fahrlässiger Verursachung des Verkehrsunfalls die Regulierung verweigern.
Es empfiehlt sich dennoch zuvor immer die Versicherungsbedingungen der jeweiligen Kaskoversicherung genau zu überprüfen. Möglichweise besteht eine sogenannte „Verzichtsklausel“ aufgrund derer die Versicherung auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit verzichtet und daher zur Zahlung verpflichtet bleibt.
Von einer groben Fahrlässigkeit kann nur ausgegangen werden, wenn diejenige Sorgfalt nicht beachtet wird, die jedermann ohne weiteres hätte einleuchten müssen.
Allein auf die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit wird sich ein solcher Vorwurf nicht stützen lassen. Kommen allerdings weitere Umstände, wie zum Beispiel eine „kurze Unaufmerksamkeit“ oder eine „regennasse Fahrbahn“ hinzu, so wird sich im Einzelfall die grobe Fahrlässigkeit durchaus bejahen lassen (vgl. OLG Düsseldorf 10.10.2002, 10 U 184/01; OLG Köln 09.05.2006 – 9 U 64/05).
Das Nichteinhalten der Richtgeschwindigkeit kann daher im Schadenfall durchaus „durch die Hintertür“ Nachteile bringen – auch wenn weiterhin kein Strafzettel droht.