Grundsatz:
Ein Geschädigter darf das verunfallte zu dem Preis veräußern, den ein vom ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Ein Unfallgeschädigter muss weder eigene Marktforschung betreiben, noch einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet berücksichtigen und auch nicht dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung vor der Veräußerung Gelegenheit geben, ein höheres Restwertangebot vorzulegen.
Neue Ausnahme:
In einer ganz aktuellen Entscheidung hat der BGH aber eine Einschränkung für Unternehmen vorgenommen, die sich selbst „auch“ mit dem An – und Verkauf von gebrauchten Fahrzeugen befassen. (BGH, Urt. v .25.06.2019, VI ZR 358/18) . Das vom BGH verwendete „auch“ ist wichtig. Erfasst werden nicht nur Unternehmen, die sich ausschließlich mit dem An- und Verkauf von Fahrzeugen befassen, sondern auch solche die dies „auch“ tun, also nur am Rande, nur gelegentlich.
Im vorliegenden Fall handelte es sich um ein Autohaus.
Der Pkw der Betreiberin eines Autohauses wurde am 29.02.2016 bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Der von dem Autohaus beauftragte Sachverständige ermittelte einen Restwert des beschädigten Fahrzeugs von 9.500,00 €. Die Klägerin verkaufte daraufhin ihr Fahrzeug zu diesem Preis am 23. März. Am 24. März legte die beklagte Versicherung dem Autohaus ein erhöhtes Restwertangebot von 17.030,00 € vor.
Da die Klägerin das Fahrzeug zu diesem Preis natürlich nicht mehr veräußern konnte, da es schon für 9.500,00 € verkauft war, lehnte sie das erhöhte Angebot ab und bestand weiterhin auf Auszahlung der vollen Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert (Wert vor dem Unfall) und den erlösten 9.500,00 €. Die Haftpflichtgesellschaft wollte allerdings die 17.030,00 € abziehen und daher etwa 7.500,00 € weniger zahlen.
Es kam zur Klage, die letztlich vor dem sechsten Senat des BGH landete. Dieser entschied, dass die Regeln die für private Geschädigte und auch fachfremde Unternehmer gelten, nicht auf fachkundige Geschädigte, wie z.B. Autohäuser anzuwenden sind.
Wer ein Autohaus betreibt, dem sei die Inanspruchnahme des Restwertmarktes im Internet und die Berücksichtigung der dort abgegebenen Angebote ohne weitere zuzumuten. Es sei nach Auffassung des BGH sogar „geradezu unvernünftig“ diese Verwertungsmöglichkeit außer Acht zu lassen. Dadurch, dass das Autohaus den Restwert allein auf Basis des Gutachtens realisiert hat, ohne von ihren besonderen individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten Gebrauch zu machen, habe es das Risiko übernommen, dass sich der erzielte Erlös als zu niedrig erweise, so der BGH.
Es bleibt also festzuhalten: Für nicht fachkundige Geschädigte ändert sich nichts. Der BGH stellt auch noch einmal explizit klar, dass er hier an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält.
Fachkundigen Unternehmen ist die Inanspruchnahme des Restwertmarktes im Internet allerdings laut BGH zumutbar, sie können das Fahrzeug folglich nicht mehr ohne weiteres zu dem für den regionalen Markt ermittelten Restwert verkaufen, ohne dass Sie das Risiko eingehen, dass der Haftpflichtversicherer Ihnen ein erhöhtes Restwertangebot anrechnet.
Wer sind nun diese besonderen fachkundigen Unternehmen, deren Fahrzeug beschädigt wurden ?
Autohäuser ist jedem Fall, aber auch Autovermieter, Carsharing-Unternehmen, Unternehmen mit großen Fahrzeugflotten und Restwertehändler.
Besondere praktische Relevanz haben Unfälle mit Leasingfahrzeugen. Es stellet sich die Frage, wie der Restwert hierbei zu ermitteln ist. Allgemeiner, regionaler Markt, oder Internetrestwertbörse. Bei dem Leasingnehmer handelt es sich in den seltensten Fällen um eine Firma die sich „auch“ mit dem An- und Verkauf von Fahrzeugen befasst. Man muss aber wissen, dass es bei einem wirtschaftlichen Totalschaden nicht auf den Leasingnehmer, sondern auf den Leasinggeber ankommt. Leasinggesellschaften befassen sich aber „auch“, mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Fahrzeugen. Das sieht der BGH wohl auch so, denn er erwähnt in seinem Urteil ausdrücklich eine Entscheidung des OLG Düsseldorf, das für ein Leasingunternehmen genau solch eine Ermittlungspflicht des Restwertes im Internet gefordert hat. Es bleibt natürlich abzuwarten, wie die Gerichte die Entscheidung des BGH werten, ich gehe allerdings davon aus, dass auch Leasingfahrzeuge zu der Ausnahme des BGH zu zählen sind.
Für die Frage welche Unternehmen betroffen sind sollte nach meiner Meinung darauf abgestellt werden, ob das geschädigte Unternehmen die genutzten Fahrzeuge am Ende der Nutzungszeit regelmäßig in Zahlung gibt. Ist das der Fall ist nach jetzigem Stand der Rechtsprechung der allgemeine, regionale Markt zu berücksichtigen.
Unternehmen, bei denen das nicht der Fall ist, Autohäuser, Leasingfahrzeuge, Carsharing-Unternehmen, Unternehmen mit grossen Fahrzeugflotten, Restwertehändler, rate ich dringend, bei der Ermittlung des Restwertes den Internetmarkt mit einzubeziehen. Ansonsten drohen böse finanzielle Überraschungen, die der oben erwähnte Fall zeigt.
Was ist also bei den Ausnahmefällen zu tun ?
Aus meiner Sicht gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der eingeschaltete Gutachter ermittelt den Restwert unter Berücksichtigung von Internetrestwertbörsen, oder, wenn dies nicht geschehen ist, sollte mit der Verwertung gewartet werden, bis die Versicherung reguliert. Sollte die Versicherung bei der Abrechnung den vom Gutachter für den allgemeinen, regionalen Markt festgestellten Restwert akzeptieren, kann das Fahrzeug zu dem Preis veräußert werden.
Es gilt hier also besondere Vorsicht walten zu lassen.