Sollte sich ein Unfallgeschädigter gegen eine Reparatur entscheiden, ist in einem Gutachten zwingend neben dem Wiederbeschaffungswert, der Reparaturkosten, einer möglichen Wertminderung auch der Restwert zu ermitteln. Restwert ist der Betrag, den ein Dritter bereit ist für das verunfallte Fahrzeug zu zahlen.
Die spannende Frage ist, wie der Restwert zu ermitteln ist. Die Versicherungsindustrie hat ein großes Interesse daran, dass in einem Schadensgutachten ein möglichst hoher Restwert festgelegt wird. Um dies zu erreichen, fordert die Versicherungsindustrie, dass die verunfallten Fahrzeuge in eine Restwertinternetbörse eingestellt werden. In dieser werden Europa weit Angebote für die verunfallten Fahrzeuge abgegeben. Die dort abgegebenen Angebote liegen weit über den Preisen, die am allgemeinen, örtlichen Markt zu erzielen wären. Diese Forderung der Versicherungsindustrie lehnt der Bundesgerichtshof (BGH) aber ab. Der BGH hat in mehreren Entscheidungen die Regeln für die Ermittlung des Restwertes festgelegt.
Geschädigter, der nicht gewerbsmäßig mit Fahrzeugen handelt
Für den Geschädigten, der nicht gewerbsmäßig mit Fahrzeugen, also der „normale“ Geschädigte, hat der BGH folgende Regeln aufgestellt:
- der Restwert ist auf dem allgemeinen, regionalen Markt zu ermitteln, d.h. keine Restwertermittlung in der Internetrestwertbörse, da diese kein allgemeiner Markt;
regionaler Markt ca. 40 – 80 km Umkreis vom Wohnort des Geschädigten
- es sind drei Angebote, des allgemeinen, regionalen Marktes in das Gutachten aufzunehmen
- ist der Restwert entsprechend den oben genannten Kriterien ermittelt, darf sich der Unfallgeschädigte darauf verlassen und sein Fahrzeug entsprechend veräußern
- der Unfallgeschädigte muss weder ein Restwertangebot der Versicherung des Schädiger abwarten, noch der Versicherung Gelegenheit geben ein höheres Restwertangebot zu ermitteln
- sollte der Unfallgeschädigte das Fahrzeug noch nicht veräußert haben, darf die Versicherung ein von ihr benanntes, höheres Restwertangebot der Regulierung zu Grunde legen
- erzielt der Unfallgeschädigte ohne besondere Anstrengungen einen höheren Restwerterlös, muss er sich diesen anrechnen lassen
Haftungsrisiko für Sachverständige und Rechtsanwälte
Gefährlich wird es, wenn sich der Sachverständige bei der Ermittlung des Restwertes nicht an die Vorgaben des BGH hält und z.B. Angebote aus der Internetrestwertbörse berücksichtigt, und/oder dem überregionalen Markt. Dann darf sich der Geschädigte nicht mehr auf die Richtigkeit des Restwertes verlassen. Verkauft der Unfallgeschädigte in einem solchen Fall das Fahrzeug zu dem Restwert laut Gutachten, läuft er Gefahr, dass die Versicherung ein höheres Restwertangebot benennt und zu diesem Restwert abrechnet. Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem solchen Fall der Haftpflichtversicherung Recht gegeben, diese war berechtigt den Schaden auf Basis des höheren Restwertes abzurechnen. (OLG Hamm, 9 U 137/16) Das OLG Hamm ging davon aus, dass jedenfalls dem Anwalt des Geschädigten die Rechtsprechung des BGH zur Restwertermittlung bekannt sein muss und der Geschädigte musste sich das Verschulden seines Rechtsanwaltes zurechnen lassen. Im Ergebnis muss der Rechtsanwalt des Geschädigten im Innenverhältnis zu seinem Mandanten den Schaden tragen müssen.
Wird ein Unfallgeschädigter nicht anwaltlich vertreten, wird sich der Unfallgeschädigte das Verschulden des von ihm beauftragen Sachverständigen anrechnen lassen müssen. Im Innenverhältnis kann sich der Geschädigte dann an den Sachverständigen halten.
Ergebnis: Sowohl Rechtsanwälte, als auch Sachverständige sollten deshalb dringend darauf achten, dass der Restwert entsprechend den oben skizzierten Vorgaben ermittelt wird.
Ausnahme: Unfallgeschädigte hat Erfahrung im Verkauf von Fahrzeugen
Handelt es sich bei dem Geschädigten um ein Unternehmen, welches gewerbsmäßig auch mit Fahrzeugen handelt, so z.B. Leasinggesellschaften oder Autohäusern, ist der Restwert auf dem überregionalem Sondermarkt, der Internetrestwertbörse zu ermitteln. Die oben genannten Regeln gelten dann gerade nicht.
Auch insofern besteht für Sachverständige und Rechtsanwälte ein erhöhtes Haftungsrisiko.